Die gute Nachricht vorab: Unsere Chancen auf ein langes und gesundes Leben sind besser als je zuvor. Allein in den letzten 60 Jahren ist die mittlere Lebenserwartung in Deutschland um 12 Jahre gestiegen. Männer werden derzeit im Durchschnitt 78 Jahre alt, Frauen sogar 83. Tendenz steigend.
Die Menschen werden nicht nur älter, sie bleiben auch länger fit. Der Fortschritt hat allerdings seinen Preis. Das ist die schlechte Nachricht. Bereits heute fließen weltweit fast zehn Prozent des Bruttosozialprodukts in das Gesundheitswesen. »Mit dem voraussehbaren demographischen Wandel gerät unser Gesundheitssystem zunehmend unter Druck «, prognostiziert Urs Schneider. Der Mediziner leitet den Bereich „Medizin- und Bioproduktionstechnik“ und die Abteilung »Biomechatronische Systeme« am Fraunhofer IPA. »Um es zukunftsfähig zu machen, müssen wir Kosten sparen: indem man beispielsweise die Prozesse in der Entwicklung und Herstellung von Pharmazeutika optimiert und automatisiert, preiswerte Therapien entwickelt, die Abläufe im Gesundheitswesen verbessert und indem man alles dafür tut, dass Menschen erst gar nicht pflegebedürftig werden.« Kurz gesagt: Das Gesundheitssystem muss effizienter werden.
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Gemeinsam mit Kunden aus der Pharmaindustrie untersuchen die Stuttgarter Fraunhofer-Forscher, wie sich die Arbeitsabläufe bei der Entwicklung neuer Medikamente optimieren lassen.
Wie kaum eine andere Branche können die Bioproduktion und die Erforschung von Medikamenten von den Methoden und Synergien der digitalen Revolution profitieren. Die hochregulierten Einheiten fungieren als vernetzte Datenfabriken zum Verständnis komplexer Erkrankungen.
Das Fraunhofer IPA unterstützt Partner und Kunden validierte Methoden aus Branchen wie dem Automobilbau im Gesundheitssektor erfolgreich einzusetzen. Der ganzheitliche Ansatz des Fraunhofer IPA setzt hierbei neben dem vernetzten cyberphysischen Systemen auch auf rein organisatorische Anpassungen zur Effizienzsteigerung. Im Rahmen des Kompetenzfeldes LEAN Lab vermittelt ein interdisziplinäres Team um Oliver Schöllhammer und Mario Bott Werkzeuge zur Analyse und Verschwendungsvermeidung im Labor unter Einsatz von Methoden des LEAN Management.
Menschen sind verschieden – Medikamente, die dem einen Patienten helfen, können bei einem anderen mit einem vergleichbaren Krankheitsbild wirkungslos sein. Die Forschung geht daher immer mehr in Richtung personalisierte Medizin. Deren Ziel ist es, individuelle Therapeutika zum Preis für jedermann zur Verfügung stellen zu können. Dabei sollen auch die Nebenwirkungen auf ein Minimum reduziert werden können.
Um die neuen Advanced Therapy Medicinal Products, kurz ATMP, im großen Maßstab produzieren zu können, sind komplexe Anlagen erforderlich. Diese befinden sich derzeit noch im experimentellen Stadium. Die Fraunhofer Wissenschaftler der Gruppe »Automatisierte Zell- und Gewebekultur« entwickeln bspw. Produktions- und Automatisierungsstrategien für Zelltherapeutika. Ziel der Forschung ist es, die Effizienz der Produktion und damit der Durchsatz zu erhöhen, die Qualität zu verbessern und die Kosten zu senken.
Auch bei der klassischen Chemotherapie gibt es Optimierungsbedarf, erklärt Prof. Jan Stallkamp, Leiter der IPA-Projektgruppe für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie PAMB in Mannheim. Sein Team arbeitet eng mit den Medizinern am dortigen Universitätsklinikum zusammen. »Unser Ziel ist eine Vernetzung und Automatisierung von Diagnose und Therapie, die Hand in Hand geht mit einer individualisierten Medizin.«
Bisher müssen Krebspatienten im Krankenhaus verschiedene Stationen anlaufen, bevor der Onkologe eine Therapie empfehlen kann. Optimierte Abläufe, bei denen verschiedene Schritte zusammengefasst werden, sollen die Diagnostik eines Tages beschleunigen. Von der neuen, schnellen Diagnostik sollen künftig insbesondere Krebspatienten profitieren, bei denen der Primärtumor bereits Metastasen gebildet hat. Im BMBF-Forschungscampus M2OLIE – kurz für Mannheim Molecular Intervention Environment – entwickelt das Fraunhofer-Team zusammen mit Experten aus Forschung und Industrie einen Prozess, mit dem bis zu fünf verschiedene Metastasen lokalisiert, entnommen und gleich analysiert werden können. »Wir wollen erreichen, dass die komplette Diagnostik und erste therapeutische Maß nahmen an einem Vormittag ablaufen«, resümiert Stallkamp. Dieser effiziente Behandlungsansatz erspart dem Patienten zermürbende Tage des Wartens und ist dazu noch kostengünstig.
Die Versorgung hilfsbedürftiger Menschen in Krankenhäusern und Heimen ist für das Personal oft Knochenarbeit. Diese kann zu Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems führen – bei der Generation 60 plus sind diese eine Hauptursache für Arbeitsunfähigkeit. Forscher am IPA können Pflegern und Schwerstarbeitern jetzt den Rücken stärken: Ein Exoskelett unterstützt Schulter- und Ellbogengelenke durch Antriebsmodule und stabilisiert den Rücken. Es ist einfach anzuziehen, leicht und komfortabel.
Auch der Mangel an qualifiziertem Personal stellt stationäre Alten- und Krankenpflegeeinrichtungen vor große Herausforderungen. Im Projekt »SeRoDi« entwickeln die Forscher am IPA deshalb technische Lösungen, die Pflegekräfte bei Routinetätigkeiten zeitlich und körperlich entlasten. Der »Intelligente Pflegewagen« beispielsweise fährt selbsttätig dorthin, wo er gerade benötigt wird.
Mit ihrer Forschung tragen die Experten am IPA dazu bei, unser Gesundheitssystem fit zu machen für die Zukunft. Damit auch in Zeiten des demographischen Wandels und immer knapper werdender Budgets eine umfassende medizinische Versorgung bezahlbar bleibt, ohne dass das Wichtigste verloren geht: die Menschlichkeit.
Die Analyse von Geweben ist ein Standardprozess in der medizinischen Diagnostik. Neben der Erzeugung von Gewebeschnitten und nachgelagerten Analysen kommen heute immer mehr zellbasierte Technologien zum Einsatz. Grundlage dafür ist ein immer besseres molekularbiologisches und zellbiologisches Verständnis unterschiedlicher Krankheitsbilder. Wie aber erhält man die Zellen, welche dann Aufschluss über den Zustand des Gewebes geben sollen? Dafür ist ein aufwändiger, weitgehend manueller Prozess notwendig, der das Gewebe zu Einzelzellen zerlegt. Bislang gibt es nur wenige teilautomatisierte Systeme, die hier eine Unterstützung bieten und oftmals werden Enzyme eingesetzt, die den Gewebeverband auflockern, dabei aber interessante Oberflächenstrukturen der Zellen mit angreifen.
Der TissueGrinder bietet eine Möglichkeit zur schonenden Isolation von Einzelzellen aus Geweben. Grundlage dafür ist ein kompaktes Laborgerät, welches sowohl als Standalone-Variante genutzt werden, als auch in größere Systeme integriert werden kann. Damit können innerhalb kürzester Zeit Einzelzellen generiert und analysiert werden, die oftmals als Basis für ärztliche Entscheidungen dienen.
Mehr als zwei Jahre haben die Wissenschaftler daran gefeilt. Die Forschungsarbeiten sind Teil des EU-Projekts MITIGATE, in dem neue Techniken erarbeitet wurden, um Diagnose und Therapie von metastasierenden Magentumoren (Gastrointestinalen Stromatumoren kurz GIST) zu verbessern. Die Wissenschaftler der Projektgruppe für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie PAMB in Mannheim konzentrierten sich dabei vor allem auf die Aufbereitung der Gewebeproben.
Für den TissueGrinder wurden verschiedene Techniken zur Zerteilung von Gewebe getestet und optimiert, bis die richtige Methode – eine, die die Zellen nicht zerstört – gefunden wurde.