#3 ROS-Industrial: Frei verfügbare Software pusht die Robotik
Bereits seit Jahren arbeitet das Fraunhofer IPA intensiv an der Weiterentwicklung des freien »Robot Operating System« (ROS). Damit können Unternehmen schnell und effizient grundlegende, aber komplexe Technologien für Roboter nutzen. Als Leiter des europäischen »ROS-Industrial-Konsortiums« setzen sich die IPA-Expertinnen und Experten für ROS auch im industriellen Kontext ein.
Die Mitgliederliste der weltweiten Initiative ROS-Industrial kann sich sehen lassen: 90 Firmen sind darauf zu finden – vom Start-up über Forschungseinrichtungen bis hin zu weltweit bekannten Konzernen. Tendenz steigend. Sie alle unterstützen die Open-Source-Software ROS, ein Software-Framework, das zahlreiche Funktionalitäten für Industrie- und Serviceroboter bereithält. Das können Komponenten für Bildverarbeitung und Bewegungsplanung sein, aber auch Hardwaretreiber für ganze Roboter, Sensoren oder andere Komponenten, Planungs-, Steuerungs- und Datenverarbeitungsalgorithmen und nicht zuletzt auch Diagnose- und Entwicklungswerkzeuge.
Die meisten dieser Komponenten sind frei verfügbar und entsprechend dem Open-Source-Prinzip gilt: Einmal entwickelte Komponenten können mehrfach verwendet oder auch als Basis für eine Neu- oder Fortentwicklung genutzt werden. Viele Komponenten sind herstellerunabhängig, standardisiert und entstehen gemeinschaftlich. So ermittelte ein Paper für das Jahr 2020, dass es beispielsweise über 8000 Beitragende zu den Kernkomponenten von ROS gibt.
Robotersysteme wirtschaftlicher entwickeln
Fast von Beginn an waren IPA-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in dieser Community sehr aktiv. ROS hat seine Wurzeln an der amerikanischen Westküste, als 2007 die Firma »Willow Garage« das quelloffene Betriebssystem für ihre PR 2 genannte Roboter-Forschungsplattform entwickelt hatte. Zwei Jahre später folgte das erste Release und viele Entwicklungsteams in der Robotik begannen, das System zu nutzen, zunächst vorwiegend für forschungsnahe Anwendungen und Reproduktionen in der softwareintensiven Servicerobotik.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Viele Robotersysteme brauchen ähnliche Grundfertigkeiten wie die oben genannte Bildverarbeitung und Bewegungsplanung oder auch die Navigation. Würde man dies jedes Mal von Grund auf neu entwickeln, wäre das alles andere als wirtschaftlich und effizient. ROS ermöglicht also, das Rad nicht immer neu erfinden zu müssen und so Innovationsprozesse moderner und schneller umsetzen zu können. Was sich als eigentlich naheliegende Binsenweisheit liest, ist tatsächlich eine kleine Revolution in der Robotik, in der noch immer eine Art »Silodenken« verbreitet ist und die meisten Hersteller an ihren proprietären Lösungen festhalten. Aufgrund des frischen Windes, den ROS in die Roboterentwicklung brachte, sprangen viele Interessierte auf diesen Zug auf und so wuchs schnell ein stattliches Ökosystem aus Nutzern und Entwicklern rund um ROS. Und auch erste Organisationen begannen, es für ihre Serviceroboter-Entwicklungen zu verwenden.
Technologieschub durch Forschungsprojekt ROSIN
Einen entscheidenden Technologiesprung ermöglichte das Forschungsprojekt ROSIN in den Jahren 2017 bis 2020, an dem das Fraunhofer IPA maßgeblich beteiligt war. Dank der finanziellen Förderung durch das EU-Forschungsprogramm »Horizon 2020« konnte das Projekt über drei Millionen Euro für die Weiterentwicklung von ROS an Dritte weitergeben. Firmen und sonstige Institutionen konnten sich auf kompakte Zusammenarbeitsformate bewerben und anwendungsbezogene Komponenten entwickeln (lassen). Auch die Weiterbildung rund um ROS sowie die Qualitätssicherung waren Schwerpunkte im Projekt.
ROS für die Industrie
Schon vor rund zehn Jahren erkannte das Team vom Fraunhofer IPA gemeinsam mit Entwicklern vom »Southwest Research Institute« in San Francisco das Potenzial von ROS über die forschungsnahe Servicerobotik hinaus. Denn auch im industriellen Kontext werden Automatisierungslösungen immer softwarelastiger, um die zunehmend mehr geforderte Flexibilität und Autonomie gewährleisten zu können. So gründeten die beiden Institutionen 2013 das ROS-Industrial-Konsortium, eine Initiative, die ROS für die Industrierobotik weiterentwickeln und hieran auch Unternehmen beteiligen wollte.
An dieser Zielsetzung hat sich auch zehn Jahre später nichts geändert. Die oben genannten 90 Mitglieder belegen das starke Interesse, das sich auch in der regionalen Aufgliederung des Konsortiums widerspiegelt. So gibt es mittlerweile drei regionale Ableger: den europäischen, den amerikanischen und den für die Region Asien-Pazifik (letzteren seit 2016). Sie alle betreiben ein starkes Community-Building beispielsweise in Form von Fortbildungen, Events wie der ROS-Industrial-Konferenz organisiert vom Fraunhofer IPA oder auch durch Förderformate, mit denen Unternehmen konkrete ROS-Entwicklungen mitfinanzieren können.
Insgesamt geht es darum, ROS noch besser auf die industriellen Anforderungen zuzuschneiden, die Zuverlässigkeit der Software zu erhöhen sowie Anpassungen an industrielle Standards und Regularien voranzubringen. Die Initiative versteht sich als Technologiepartner und Schnittstelle zwischen Entwicklergemeinde und Industriepartnern und bringt deren verschiedene Entwicklungskulturen zusammen. In ROS fließen Community-getriebene Entwicklungen ein, gleichzeitig werden diese Entwicklungen mit großen, aus Politik und von Unternehmen angeleiteten Zielen und Programmen wie beispielsweise Industrie 4.0 verknüpft. Außerdem werden Fragen der Haftung, des Supports und der Gewährleistung von Garantien behandelt und die Initiative bildet eine finanzielle und organisatorische Rahmenstruktur.
Kommerzieller Einsatz
Auf Open-Source-Software zu setzen bedeutet dabei nicht, dass diese nicht auch kommerziell genutzt werden könnte. Diese kommerzielle Nutzung ist sogar bereits recht verbreitet und beinhaltet häufig sowohl Open-Source- als auch Closed-Source-Komponenten. Die kombinierte Nutzung von Open- und Closed-Source-ROS-Komponenten ist möglich, weil ROS unter der BSD-Lizenz (Berkeley Software Distribution) steht: Jeder darf den Code nutzen, ändern und kommerziell verbreiten, solange das Copyright gekennzeichnet bleibt. Neu entwickelte Pakete werden unter Apache 2.0 veröffentlicht, sodass zur BSD-Lizenz noch eine Patentklausel hinzukommt. Diese soll Nutzer und Beitragende vor Patentverletzungsklagen schützen.
Am Fraunhofer IPA wurde ROS bereits für mehrere industrielle Entwicklungen genutzt. Eine herausragende Anwendung ist die Navigationssoftware für fahrerlose Transportfahrzeuge, die bei einem Automobilhersteller Autokarosserien von Montagestation zu Montagestation bringen. Die Anwendung ist seit 2016 im Einsatz. Und auch für die vereinfachte Industrieroboterprogrammierung dient ROS als Grundlage. Beide Einsatzfelder führten zu Ausgründungen des Instituts. Und schließlich wird ROS auch in der Produktionslinie eines weltweit agierenden Automobilzulieferers genutzt. So kommt allein das Fraunhofer IPA auf mehrere Hundert Roboter im industriellen Einsatz, die ROS nutzen.
Ihr Einstieg in die ROS-Nutzung
Das ROS-Team am Fraunhofer IPA bietet vielfältige Unterstützung beim Einstieg in die Nutzung von Open-Source-Software, beispielsweise über die Mitgliedschaft im Konsortium und in Form von Beratungen und Trainings, letzteres auch hinsichtlich Lizenzierungen, Haftungsfragen und der Kundenbetreuung. Auch sind prototypische Implementierungen und Proof-of-Concepts Teil des Angebots. Zudem werden anwendungsspezifische Komponenten für industrielle Hardware oder auch Simulationsmodelle entwickelt. Besonders im Fokus sind hier aktuell die Optimierung von ROS2 und Trainings rund um dessen Einsatz.
Alles in allem zeigen die Entwicklungen rund um ROS und ROS-Industrial, dass qualitativ hochwertige Open-Source-Software mittlerweile ein Wettbewerbsfaktor geworden ist. Und das gilt nicht nur für Start-ups, sondern auch für etablierte Unternehmen. Wann entdecken Sie die Vorteile davon für sich und Ihr Unternehmen? Wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme.