Medizinische Ergonomie: Damit die Arbeit nicht schmerzt
Die Abteilung »Biomechatronische Systeme« des Fraunhofer IPA beschäftigt sich mit der Entwicklung von Orthesen oder Prothesen bis hin zu Exoskeletten, mit dem Ziel, Schäden, die im Arbeitsumfeld bei dauerhafter Beanspruchung am Bewegungsapparat entstehen können, zu kompensieren. Auch Menschen mit Handicap und Leistungssportler profitieren von dieser angewandten Forschung.
Fast 7 Millionen Menschen bekommen jedes Jahr in der EU ernsthafte gesundheitliche Beschwerden durch ihre Tätigkeiten am Arbeitsplatz. Oft liegt es daran, dass die Arbeitsabläufe in den Fabriken nicht ergonomisch gestaltet sind. Oder dass den Arbeitern eine geeignete Schulung fehlt, wie sie sich zu verhalten haben. Sie gewöhnen sich ungesunde Bewegungsabläufe an, die auf Dauer zu Verschleißerscheinungen führen. Rückenschmerzen sind besonders häufig, aber auch Beschwerden in Händen und Armen. Die Probleme der Arbeits-Ergonomie gewinnen zunehmend an Bedeutung, da die Belegschaften infolge des demographischen Wandels immer älter werden – und damit anfälliger für Krankheiten und Verletzungen.
Um die spezifischen Belastungen an einem Arbeitsplatz exakt ermitteln zu können, analysiert das Expertenteam der Abteilung Biomechatronische Systeme, bestehend aus Sportwissenschaftlern, Orthopäden und Informatiker, Bewegungsabläufe und er mittelt daraus die Belastungen für Gelenke, Muskeln und Sehnen. Dafür steht ein mobiler Messplatz zur Verfügung. Er ermöglicht eine Analyse unter realen Bedingungen. Neun synchronisierte Infrarot-Kameras zeichnen aus unterschiedlichen Richtungen die Bewegungsabläufe auf. Dazu wird der Proband an exponierten Stellen seines Körpers mit Messpunkten versehen, vor allem an den Gelenken. Kraftmessplatten am Boden liefern zusätzliche Daten. Aus ihnen lässt sich der Kraftfluss vom Fuß über Knie und Hüften bis hin zu den Armen und Händen zurückrechnen. So erhält man für jedes der genannten Körperteile die jeweiligen Belastungen und Bewegungsabläufe.
Die Vorteile des Systems konnte das Fraunhofer IPA etwa im Chemnitzer Werk des Volkswagen-Konzerns zeigen. Dort klagten mehrere Arbeiter, die bei der Montage des Armaturenbretts tätig sind, über eine Sehnenscheidenentzündung im Handgelenk. Die Analyse des Bewegungsablaufs zeigte, wie man die Beweglichkeit der Gelenke einschränken sollte, um dem Verschleiß vorzubeugen. Die betroffenen Arbeiter erhielten zunächst zur Stabilisierung des Handgelenks ein so genanntes Kinesioband, wie man es bei Leistungssportlern nutzt. Das Ergebnis: Die relativ einfache Orthese zeigte die erwünschte Wirkung. Zukünftig werden alle Arbeiter dieser Abteilung einen Spezialhandschuh überziehen, in den das stützende Band bereits eingearbeitet ist.
Natürlich lassen sich die Daten auch nutzen, um aufwendigere Hilfsmittel herzustellen, bis hin zum Exoskelett. Auch daran arbeiten die Stuttgarter Wissenschaftler. Eine solche aktive Stützstruktur ermöglicht einem Arbeiter dauerhaft Arbeiten zu verrichten, zu denen er sonst nicht in der Lage wäre. Oft ist allerdings überhaupt kein Hilfsmittel nötig, so ist häufig eine zielgerichtete Schulung ausreichend. Auch hier ist das Fraunhofer IPA aktiv. »Wir haben Avatar-Modelle entwickelt, die auf dem Bildschirm zeigen, welche Bewegungsabläufe richtig und welche falsch sind. Ein grünes Männchen signalisiert die korrekte Haltung, ein rotes Gefahr. Diese anschaulichen Darstellungen lassen sich vor allem in den Lernfabriken der Unternehmen nutzen«, beschreibt Felix Starker, Gruppenleiter des Bereichs Angewandte Biomechanik, die aktuelle Entwicklung auf diesem Gebiet.