Es ist ein ungewöhnlicher Anblick: Wer das Werkgelände der Evonik Industries AG in Rheinfelden (Baden) verlässt, sieht gegenüber, auf der anderen Straßenseite, Mehrfamilienhäuser stehen. Linkerhand überragt ein neobarocker Kirchturm die Kantine. Industrie- und Gewerbegebiete liegen in der südbadischen Stadt in unmittelbarer Nähe zu Wohnsiedlungen. Einerseits ist das historisch bedingt: Als 1898 das Laufwasserkraftwerk in Betrieb ging, siedelte sich rasch Industrie an und es entstanden Arbeitersiedlungen. Andererseits liegt es an der geographischen Lage der Stadt: Im Norden begrenzen Ausläufer des Schwarzwaldes das Stadtwachstum und nur einige hundert Meter weiter im Süden der Hochrhein, der die Grenze zur Schweiz bildet.
»Die seitens der hier ansässigen Unternehmen und der Stadt getroffenen Maßnahmen zur Einsparung von Energie und Ressourcen sowie zur Vermeidung von Emissionen sind beeindruckend«, sagt Ivan Bogdanov vom Fraunhofer IPA, »sie sind ein sehr wichtiges Kriterium für ein stadtnahes, ultraeffizientes Industriegebiet. Wichtig sind auch die kurzen Wege zwischen Wohn- und Industriegebieten.« So gibt es bereits ein firmenübergreifendes Leitungsnetz, über das Salzsäure, Wasserstoff und Dampf ausgetauscht werden. Abwärme wird ins Netz eingespeist und dient dazu, Schulen und Wohnungen im Stadtgebiet zu beheizen.
Elf Bewerbungen, drei Finalisten, ein Sieger
Bogdanov leitet das Arbeitspaket »Stadtnahe, ultraeffiziente Industriegebiete« im Rahmen des Projekts »Ultraeffizienzfabrik – Symbiotisch-verlustfreie Produktion im urbanen Umfeld«, das das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg in der aktuellen Förderphase mit insgesamt rund 1,3 Millionen Euro finanziert. Um einen geeigneten Standort für das weltweit erste stadtnahe, ultraeffiziente Industriegebiet zu finden, haben sich Bogdanov und fünf weitere Wissenschaftler von den drei Stuttgarter Fraunhofer-Instituten IPA, IAO und IGB im Frühjahr auf die Suche nach Städten, Gemeinden und Unternehmen in Baden-Württemberg gemacht, die Effizienz- und Effektivitätsmaßnahmen auf allen fünf Handlungsfeldern der Ultraeffizienzfabrik (s. Kasten) in Industriegebieten planen oder bereits umsetzen.