Thomas-Ducrée-Preis für soziale Innovation:

Assistenzsystem unterstützt den Produktionsprozess in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen

Pressemitteilung November 2017 /

Am 28. November übergab Minister a. D. Peter Frankenberg feierlich vor renommierten Gästen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik die mit insgesamt 65 000 Euro dotierten Forschungspreise der Gips-Schüle-Stiftung. Das Projekt AMBOS-3D erhielt einen dieser Auszeichnungen: den Thomas-Ducrée-Preis für soziale Innovation. Im Projekt AMBOS-3D entwickelte das Fraunhofer IPA mit den Neckartalwerkstätten des Caritasverbands für Stuttgart e. V., der freien Werkstatt Hobbyhimmel und der Ruck GmbH ein Assistenzsystem, das Mitarbeiter mit Behinderungen und Betreuer zugleich unterstützt sowie die Qualität beim Packprozess sichert. Die Lösung basiert auf kostengünstigen Open-Source-Technologien und kann von jedermann nachgebaut werden.

© Fraunhofer IPA, Foto: Rainer Bez
Im Projekt AMBOS-3D haben das Fraunhofer IPA und Partner ein Assistenzsystem entwickelt, das mit optischer 3D-Sensorik die Mitarbeiter in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen beim Packprozess unterstützen.

Alle zwei Jahre würdigt die in Stuttgart ansässige Gips-Schüle-Stiftung herausragende Forschungsprojekte, deren Ergebnisse von besonderem und nachhaltigem Nutzen für die Gesellschaft sind, mit dem Gips-Schüle-Forschungspreis und dem Thomas-Ducrée-Preis für soziale Innovation. 2017 erhielt das Projekt AMBOS-3D die Auszeichnung. Das Assistenzsystem unterstützt mit optischer Sensorik Menschen mit Behinderungen in Werkstätten. Dort geht es nicht nur darum, schnell und effizient zu fertigen, die Werkstätten sollen den Beschäftigten ein normales Berufsleben ermöglichen. Das steigert das Selbstwertgefühl, fördert die sozialen Kontakte und stiftet Sinn. Trotzdem stehen die Qualitätsanforderungen der Kunden im Mittelpunkt.


Selbstständigkeit und Qualität nehmen zu

Die Betreuer müssen demnach in den Werkstätten darauf achten, Kundenanforderungen sowie die Voraussetzungen und Bedürfnisse der Beschäftigten gleichermaßen zu erfüllen. Beispielsweise verpacken die Neckartalwerkstätten im Auftrag der Firma Beck GmbH – Druckkontrolltechnik kleine Tütchen mit Schrauben, Schraubnippeln, einem Schlauch und einem Sicherheitshinweis. Der Gruppenleiter achtet darauf, dass die Bauteile korrekt abgezählt sind und der Schlauch die richtige Länge hat. Gleichzeitig übernimmt er soziale und zwischenmenschliche Aufgaben. »Diese Leute stehen im Spannungsfeld zwischen Pädagogik und Produktion. Sie müssen beide Bereiche überblicken, moderieren und organisieren«, informiert IPA-Wissenschaftler Christian Jauch, der den Prozess vor Ort analysiert hat.

Das Assistenzsystem, das die IPA-Wissenschaftler und ihre Partner im Projekt AMBOS-3D entwickelt haben, entlastet die  Gruppenleiter bei ihren Produktionsaufgaben und räumt ihnen mehr Zeit für die Betreuung ein. Gleichzeitig gewährleistet AMBOS-3D den Beschäftigten größtmögliche Selbstständigkeit. Mit Pick-by-Light zeigt das Assistenzsystem dem Beschäftigten den nächsten Arbeitsschritt an. Über grüne bzw. rote Lichtsignale meldet das System unmittelbar zurück, ob alles korrekt ausgeführt wurde. »Der Mitarbeiter sieht sich bestätigt, ›Ich mach´ das richtig‹, ›Ich schaffe das‹ und dem Gruppenleiter nimmt es den Druck und steigert die Qualität und Rentabilität der Produktion. Gleichzeitig ermöglicht es den Werkstätten, mehr Produktvarianten in kleinen Stückzahlen zu fertigen«, erklärt Jauch. Ein erster Prototyp wurde für den Packprozess der Neckartalwerkstätten umgesetzt, prinzipiell lassen sich damit aber alle manuellen Arbeitsschritte anzeigen und überwachen, andere Beispiele sind die Kommissionierung oder manuelle Montageaufgaben.

Dank Open Source vielseitig einsetzbar

Für die Lösung hat das Projektteam einfache und kostengünstige Soft- und Hardware eingesetzt. Dazu gehören ein Raspberry Pi-Minicomputer, eine 2D-Kamera und ein LEDLichtstreifen, der über den Boxen mit den Bauteilen installiert wird. Als erstes muss der Anwender, bei den Neckartalwerkstätten der Gruppenleiter, den Prozess mit einer Companion-App für Android-Endgeräte konfigurieren. Dank übersichtlicher Nutzerfläche geht das schnell und einfach, ganz ohne Programmieren. Anschließend zeichnet die Kamera die Arbeitsschritte auf, prüft diese mit modernen Gestenerkennungsalgorithmen und assistiert dem Mitarbeiter durch Lichtsignale. Der Quellcode und die Bauanleitungen stehen auf der Projektwebsite zum Download bereit. Unternehmen, Werkstätten und Hobbybastler können das System damit nachbauen, ohne viel Zeit und Geld zu investieren.


Nachbauen erwünscht

Erarbeitet wurde die Anwendung in mehreren öffentlichen Workshops, bei denen das Projektteam und Freiwillige aus der Maker-Szene mitgewirkt haben. Neben dem Assistenzsystem hat das Konsortium weitere Lösungen entwickelt, die den Packprozess der Neckartalwerkstätten verbessern. Dazu gehört eine spezielle Schaufel, mit der die Mitarbeiter – wie mit einem Pizzaschieber – die Bauteile ins Tütchen stecken können. »Damit reduzieren wir Verunreinigungen, weil die Mitarbeiter nicht hineingreifen müssen«, so Jauch. Auch einen Zipper, mit dem sie das Tütchen schnell und sicher verschließen können, hat das Team umgesetzt. »Wir freuen uns, dass dieses Projekt unsere Gruppenleiterinnen und -leiter motiviert hat, sich mehr mit der ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung zu beschäftigen. Damit können wir die Arbeit auf die Bedürfnisse der Beschäftigten anpassen, « sagt Harald Hellstern, der Fertigungsleiter der Neckartalwerkstätten in Stuttgart.

Projekt AMBOS-3D

Titel: »Assistenzsystem für manuelle Werkstattarbeitsplätze von Menschen mit Behinderung mittels optischer 3D-Sensorik« (AMBOS-3D)
Partner: Fraunhofer IPA (Koordinator), Caritasverband für Stuttgart e. V. Neckartalwerkstätten (WfbM), Hobbyhimmel, Ruck GmbH
Projektlaufzeit: 1.11.2016 bis 30.6.2017
Projektvolumen: 97 983 € (Förderquote 100 %)
Fördermittelgeber: Gefördert durch: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Wettbewerbs »Light Cares«
Website: http://ambos-3d.ipa.fraunhofer.de/

Thomas-Ducrée-Preis für soziale Innovation

Der Thomas-Ducrée-Preis für soziale Innovation, vormals Gips-Schüle-Sonderforschungspreis für soziale Innovation, wird von der Gips-Schüle-Stiftung alle zwei Jahre zusammen mit dem Gips-Schüle-Forschungspreis verliehen. Der Preis ist mit 15 000 Euro dotiert und zeichnet interdisziplinäre Forschungsprojekte mit besonderer sozialer Relevanz aus. Er wurde 2013 vom Aufsichtsrat der Gips-Schüle-Stiftung ins Leben gerufen. Die Vergabekriterien sind Interdisziplinarität, Innovationspotenzial und Anwendungsbezug im sozialen Bereich.

Jury

Peter Frankenberg, Aufsichtsratsmitglied der Gips-Schüle-Stiftung, Minister a. D. für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg und Mitglied im Beirat des Centrums für Hochschulentwicklung Britta Nestler, Institutsleiterin am Lehrstuhl für Mikrostruktursimulation in der Werkstofftechnik am KIT und am Institute of Materials and Processes der Hochschule
Karlsruhe Ortwin Renn, geschäftsführender Direktor und Leiter der Abteilung für Technik- und Umweltsoziologie am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart, und Vorsitzender des Nachhaltigkeitsbeirats von Baden-Württemberg (NBBW)

Engelbert Westkämper, ehemaliger Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA und ehemaliger Lehrstuhlinhaber und Leiter des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb der Universität Stuttgart

Markus Brock, Fernsehmoderator beim Südwestrundfunk

 

Gips-Schüle-Stiftung

Die Gips-Schüle-Stiftung fördert Forschung, Nachwuchs und Lehre in Baden-Württemberg. Der Fokus liegt dabei auf den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) sowie auf interdisziplinären Projekten. In ihrem Wirkungsraum Baden-Württemberg arbeitet die Stuttgarter Stiftung eng mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen zusammen und ermöglicht die Durchführung zukunftsweisender Forschungsprojekte. Sie finanziert Stiftungsprofessuren, vergibt Stipendien, unterstützt Studienbotschafter zur Anwerbung von Abiturienten für MINT-Fächer und Projekte zur Lehreraus- und -fortbildung. Alle zwei Jahre verleiht die Stiftung ihre mit 65 000 Euro dotierten Forschungspreise sowie jährlich den mit insgesamt 17 500 dotierten Gips-Schüle-Nachwuchspreis.

www.gips-schuele-stiftung.de

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